Bestenlisten sind in den meisten Fällen keine „Bestinnenlisten“. Das weiß vermutlich jede/r, die/der gerne mal Musikmagazine durchblättert. Auch die vor zwei Monaten im SPIN Magazine erschienene Auflistung der „100 Greatest Guitarists of All Time“ bildet hier keine Ausnahme. Von den 100 Plätzen werden genau neun von Gitarristinnen besetzt, wobei davon nur zwei – PJ Harvey und Carrie Brownstein – den Sprung in die Top 50 schaffen.
Platz 93: Annie Clark (St. Vincent)
Platz 91: Viv Albertine (The Slits)
Platz 87: Marnie Stern
Platz 84: Lydia Lunch
Platz 82: Kristin Hersh (Throwing Muses)
Platz 77: Marissa Paternoster (Screaming Females)
Platz 56: Kim and Kelley Deal (The Breeders)
Platz 39: Carrie Brownstein (Sleater-Kinney, Wild Flag)
Platz 27: PJ Harvey
Ein Zehntel von 100 ist dabei immerhin noch mehr, als andere Listen zu bieten haben. David Fricke vom Rolling Stone schafft es auf genau eine Frau unter 100 – Joan Jett belegt Platz 87, die restlichen 99 Plätze besetzen Männer.
Die E-Gitarre ist nach wie vor das männlich konnotierte Instrument par excellence. Gerne wird in diesem Zusammenhang von einer phallischen Symbolik und der Erweiterung des männlichen Körpers durch die Gitarre gesprochen. Dabei sind die Gründe für diese männliche Konnotation rein sozial. Ich möchte drei mögliche Gründe aufzeigen, warum E-Gitarristinnen es schwerer haben sich für dieses Instrument zu entscheiden und damit erfolgreich zu werden, als ihre männlichen Kollegen.
1. Fehlender Bekanntheitsgrad
Ich muss zugeben, dass es auch mir schwer fällt, auf Anhieb große Gitarristinnen der Rockmusik aufzuzählen. Dabei gehe ich nicht davon aus, dass es sie nicht gibt oder gab. Wieso aber sind so wenige von ihnen bekannt geworden? Zum einen lässt sich die fehlende Präsenz von Gitarristinnen in den Medien dadurch erklären, dass Listen wie die oben erwähnten, meist von männlichen Musikjournalisten angefertigt werden, die ihre großen Lieblinge und Vorbilder darin zusammenführen, die von wenigen Ausnahmen abgesehen wiederum männlich sind. Es ist wieder die alte Leier: Das Herausschreiben von Frauen aus der Musikgeschichte setzt sich hier exemplarisch fort. Die Geschichte der Rockmusik erzählt zum Großteil von Männern und wird von diesen erzählt.
2. Andere Maßstäbe bei der Bewertung
Da E-Gitarristinnen auf der Bühne die Abweichung von der männlichen Norm darstellen, werden andere Erwartungen an sie gestellt: Um als „gut“ bewertet zu werden, müssen sie die männlichen Verhaltensweisen, die erst das „gute“ Gitarrenspiel definieren, übernehmen. Ein Beispiel aus der Rockmusik ist die Höhe, auf der die Gitarre gehalten wird. Um „authentisch“ zu wirken, muss die Gitarre relativ tief auf Beckenhöhe gehalten werden, was Mavis Bayton in ihrem Aufsatz „Women and the electric guitar“ als „phallozentrischen Code“ bezeichnet. Die von ihr interviewte Vi Subversa von der Band Poison Girls geht in ihrer Performance ironisch mit solchen Körper- und Bewegungsnormen um:
„I know when I go in for some big chords that this is what men do. And my feeling when I do it is irony, because I know that you don’t have to strut around to make a good sound.” (Bayton 1997:45)
Das SPIN Magazine setzt auf Platz 4 seiner Liste Kurt Cobain, dessen Gitarrenspiel aus einer rein technischen Perspektive nicht sonderlich virtuos ist. Und so schreiben sie auch selber:
“Frontman Cobain is rarely described as a technical virtuoso, but he did have a fantastic, intuitive feel for the guitar, mirroring his gift for unshakeable John Lennon-inspired songcraft.”
Hier scheinen jegliche Bewertungskriterien darüber, was „gutes Gitarrenspiel“ ausmacht zu fehlen, vielmehr scheint allein der subjektive Musikgeschmack der Listenersteller ausschlaggebend dafür, wer hier erscheint und wer nicht.
3. Sozialisation
Neben einer unterschiedlichen Bewertung von „gutem“ Gitarrenspiel bei Gitarristinnen, wird es Mädchen oder Frauen meist von vornherein nicht leicht gemacht E-Gitarre zu erlernen. Ein reales Verbot wird zwar nicht ausgesprochen, vielmehr geht es hier um ein Ensemble aus gesellschaftlich sichtbaren Handlungen, die bestimmte Erwartungen prägen und hervorrufen, welche wiederum das eigene Handeln bestimmen. Die fehlende Sichtbarkeit von E-Gitarristinnen und die fast alleinige Präsenz von Männern, die dieses Instrument spielen, führen dabei zu einer subjektiv empfundenen Schranke, einer Begrenzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten.
Wenn sich in der subjektiven Wahrnehmung der Welt lediglich die kollektiven Erwartungen widerspiegeln (z.B. nur männliche E-Gitarristen), hat dies auch Auswirkungen auf die denkbaren wie gegeben Handlungsmöglichkeiten (z.B. „Ich kann keine E-Gitarre spielen, weil ich eine Frau bin und nur Männer E-Gitarre spielen“).
Wenn Mädchen lernen, was Weiblichkeit ist, dann ist ein Unterscheidungsmerkmal keine männlichen Aktivitäten auszuüben. So sind Frauen mit E-Gitarre immer eine Abweichung von der Norm des männlichen Gitarristen, da sie sich nicht an die allgemein als legitim geltenden Verhaltensweisen von Frauen halten.
Nach Bourdieu werden in der Sozialisation „Grenzen, die vor allem den Körper betreffen […], verinnerlicht und in die Körper eingeschrieben“ (Bourdieu 2005:184). Mit dem Begriff der Einschreibung bezeichnet er psychisch verinnerlichte „körperliche Gedächtnisstützen“, welche z.B. Frauen bestimmte Verhaltensweisen gewähren und andere verbieten, wobei eben kein tatsächlich ausgesprochenes Verbot gemeint ist, sondern eine erlernte, und deswegen unsichtbare, Schranke.
Mavis Bayton veranschaulicht dieses Phänomen am Beispiel von E-Gitarristinnen. Während Männer, die E-Gitarre spielen ihre Männlichkeit durch diese Tätigkeit verstärken, bricht eine Frau, die dies tut den Gendercode, der mit dem Instrument konnotiert ist:
„A girl on lead guitar would undermine rock’s latent function of conferring ‚masculine‘ identity on its male participants. Its ‘masculinity’ is only preserved by the exclusion of girls.” (Bayton 1997:41)
Nachdem ich diese drei Punkte ausgeführt habe, fällt mir auf wie sehr sie aufeinander einwirken und sich gegenseitig bedingen: Der fehlende Bekanntheitsgrad von Gitarristinnen führt dazu, dass es kaum weiblichen role models gibt. Dadurch wird es jungen Frauen weiterhin erschwert sich für die E-Gitarre als Instrument zu entscheiden. Die Norm bilden also weiterhin männliche Gitarristen, weshalb die von dieser Norm abweichenden Gitarristinnen weiterhin nach anderen Kriterien bewertet werden. Es ist ein verflixter Teufelskreis.
Fangen wir also vorne an und arbeiten daran, den Bekanntheitsgrad von Frauen wie Kaki King zu erhöhen:
Quellen:
Bayton, Mavis (1993): „Feminist musical practice: problems and contradictions”. In: Bennett, Tony; Frith, Simon; Grossberg, Lawrence (Hrsg.), Rock and popular music: Politics, policies, institutions. London: Routledge. 177-192.
Bourdieu, Pierre (2005): Die männliche Herrschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.